Shelter, 2022
Skulptur, Bambus, Hanfseil
Auszug aus der Eröffnungsrede, Vivien Sigmund:
… Schön ersichtlich ist das am wohl augenfälligsten Werk der Ausstellung, dem Bambusstangen-Objekt „Shelter“ von Barbara Karsch-Chaieb. Das riesenhafte fast schon kristallin verkeilte Gestell, das dunkel an die Konstruktion einer Schutzhütte erinnert, scheint nachgerade herausgewachsen aus seinen beiden kleineren Pendants. Es ist eine Form, mit der Karsch-Chaieb schon seit einigen Jahren experimentiert und die uns hier nun in raumfüllender Prägnanz entgegentritt. Gedanklich angelehnt ist dieses Objekt an das geometrische Apeirogon, ein Vieleck mit einer unendlichen, indes abzählbaren Anzahl von Seiten. Das klingt herrlich widersprüchlich. Zumal das Objekt, eine vage Kreisform im Ganzen, en Detail aus unzähligen geraden Linien besteht. Molekülartig könnte man fast sagen, ein Weltgerüst also im übertragenen Sinne, das Blow-Up eines idealen Elementarteilchens, das uns hier vor Ort vor allem eines beschert: unzählige unterschiedliche Ansichten. Es ist fast wie im wahren Leben: Jeder Schritt eine neue Sichtweise, jeder Betrachter eine eigene Perspektive. Der Begriff Apeirogon übrigens stammt vom altgriechischen Apeiron – das Unbegrenzte, das Unteilbare. Und um den Kreis fürs erste zu schließen, steht Apeiron in der griechischen Philosophie für den sagenhaften Äther, den Ursprung, aus dem sich die vier Elemente gewissermaßen herauskristallisiert haben. Ein kleines Bauteilchen unserer Welt also und das große Unteilbare in einer Gestalt, sanft reiben sich hier die Weltanschauungen aneinander in harmonischer Kontradiktion. Dieses weltbezogene Konstrukt indes, zusammengezurrt aus nachhaltigem Bambus und Hanffasern, es wirkt so filigran ausbalanciert, so fragil, dass man sich unversehens fragen muss, ob es uns wirklich ein Shelter sein kann oder ob es nicht viel eher selbst Schutz braucht…
Mit freundlicher Unterstützung des Projektes „Shelter“ durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.
Maße flexibel, in der Gedok-Galerie: 500 x 200 x 250 cm
Photo Credits: Ulrike Reichart
Drucke: Silke Schwab-Krüger